Verleihung des Agenda Siegels für nachhaltige Projekte 2014 an die Bürgerinitiative zur Aufklärung des PCB-Skandals in Dortmund

 

Am 5.12.2014 fand die Verleihung des Agenda Siegels durch den Oberbürgermeister Ullrich Sierau im Dortmunder Rathaus statt. Die „Bürgerinitiative zur Aufklärung des PCB-Skandals in Dortmund“ wurde zusammen mit 27 anderen Agenda21-Projekten, die sich in bürgerschaftlichen Projekten und im Bereich nachhaltiger Entwicklung engagieren, geehrt.

Lokale Agenda21-Projekte zeichnen sich dadurch aus, dass sie ökologische, ökonomische und soziale Dimensionen verbinden. Hannelore, Wolfgang, Rudolf und Wiebke nahmen die Urkunde für die BI entgegen. Ausgewählt wurden die Agenda21-Projekte durch eine Jury, an der Vertreter des Einzelhandelsverband Westfalen, der Verbraucherzentrale, der Landesarbeitsgemeinschaft Agenda21 und der Evangelischen Kirche Dortmund-Lünen mitwirkten.

Neun Projekte wurden neben der Urkunde mit einem Geldpreis bedacht. Unsere Initiative zählte leider nicht zu dieser Gruppe, aber wir freuen uns über die Anerkunnung, die unserer Arbeit durch das Agenda21- Siegel von offizieller Seite zuteil wurde.

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Filmvorführung „Grünkohl, Gift und Geschäfte“ in der Pauluskirche

Am 23. Januar fand in der Pauluskirche in der Nordstadt die Vorführung des Films „Grünkohl, Gifte und Geschäfte“ statt, der den PCB-Skandal in der Firma Envio Recycling GmbH im Dortmunder Hafen behandelte. Der Film ist eine Produktion des WDR in der Reihe „die story“. 25 Menschen nahmen an der Filmvorführung und gut 20 an der anschließenden Diskussion teil, darunter waren Anwohner, einige Studenten, ein Unternehmer aus dem Hafen, zwei Politiker der Bündnis 90/Die Grünen und Vertreter der Bürgerinitiative zur Aufklärung des PCB-Skandals in Dortmund, die die Veranstaltung initiiert hatten.

Im Film werden die vielfältigen Facetten des Skandals gezeigt. Die Envio Recycling Gmbh demontierte im Hafengebiet Großtransformatoren, um die darin enthaltenen Metalle herauszulösen und zu verkaufen. Diese Großtrafos waren hochgradig mit PCB belastet. PCB gehört zum „dreckigen Duzend“ der organischen Giftstoffe, die nach der „Stockholmer Konvention“ seit 2001 weltweit und deren Erzeugung in Deutschland seit 1989 verboten ist. Die organische Chlorverbindung gilt u.a. als krebsauslösend. Für den Stoff gibt es keinen Grenzwert noch Schwelle der Unbedenklichkeit. Die Arbeit bei Envio Betrieb wurde v.a. durch Arbeitskräfte aus verschiedenen Leiharbeitsfirmen unter skandalösen Arbeitsbedingungen erledigt. Das PCB-verseuchte Material wurde aus der Untertagegiftmülldeponie Herfa-Neurode und aus allen möglichen Teilen der Welt in den Dortmunder Hafen herangeschafft. Der Skandal ist Folge von skrupelloser Geschäftemacherei und Gewinnsucht auf dem Rücken von Leiharbeitern. Er ist aber auch Folge von Missständen bei Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden, deren Personaldecke vorher rigoros ausgedünnt wurde. Die Behördenmitarbeiter führten ihre Kontrollaufgabe auf Treu und Glauben der Envio-Geschäftsführung lax durch und ließen die Envio-Geschäftsführung gewähren. Der anonyme Hinweis eines Mitarbeiters auf Unregelmäßigkeit im Betriebsablauf wurde der Envio-Geschäftsleitung vorgelegt. Die damals tätigen Mitarbeiter der Bezirksregierung sind heute für das Sanierungsverfahren zuständig.

Nach der Filmvorführung In der nachfolgenden Diskussion wurden der gegenwärtige Stand der Aufarbeitung des Envio-Skandals erörtert und die Bürgerinitiative zur Aufklärung des PCB-Skandals in Dortmund stellte ihre Arbeit vor.

Mario Krüger, Landtagsabgeordneter der GRÜNEN und vorher im Rat der Stadt Dortmund, stellte den Envio-Umweltskandal in Relation zu anderen Altlastfällen in Dortmund. Der gesamte Boden im Dortmunder Hafen müsse als stark belastet angesehen werden durch aufgebrachtes belastetes Erdmaterial, durch emittierende Betriebe und Altlastfälle (wie Nicometall). Die Grundwasserströme im Hafengebiet seien gestört und laufen Richtung Fredenbaumpark, ein Park mit wichtiger Erholungsfunktion für den Stadtteil. Der Envio-Skandal reiht sich ein in eine unendliche Kette von anderen Altlastfällen in Dortmund, jedoch mit dem Unterschied, dass es sich in dem Falle um einen vergleichsweise neuen Giftmüllskandal handelt, keine Altlast der Montanindustrie.

Das Personal der Aufsichtsbehörden war im Zuge des Schlagworts „privat vor Staat“ massiv reduziert worden. Es wurde zugesagt, das Personal in Umwelt- und Arbeitsschutz wieder aufzustocken. Aufgrund eines leergefegten Arbeitsmarktes konnte allerdings kein Personal in den Behörden eingestellt, sondern musste erst einmal ausgebildet werden. Nach Angaben von Mario Krüger sind die Stellen im Umweltministerium inzwischen (4 Jahre nach Zusage) besetzt. Für das Arbeitsministerium liegen aber keine Angaben vor.

Die Mitglieder der Bürgerinitiative (BI) stellten die Tragweite des Skandals für den Stadtteil dar. Im Strafprozess wird eine Anklage auf Umweltstraftatbestand und Körperverletzung in 51 Fällen verhandelt. Doch die Zahl der Menschen, die von den Emissionen der Envio-Brache in der Stadt betroffen sind, ist weit größer. Nach der Skandalisierung des Envio-Skandals (u.a. durch die Aktivitäten der Bürgerinitiative) wurden seit Frühjahr 2010 von über 1.200 Personen Blutproben analysiert und 320 Menschen mit erhöhten PCB-Werten in ein Gesundheitsprogramm der Universität Aachen aufgenommen. Im Umfeld haben Leiharbeiter aus mindestens 15 Leiharbeitsfirmen in den vergangenen 5-6 Jahren für Envio und umliegenden Firmen gearbeitet. Es gibt 160 Betriebe mit etwa 5.000 Arbeitsplätzen im Hafen, also Menschen, die im Hafen im Umfeld des Envio-Geländes arbeiten. Im benachbarten Stadtteil liegen etliche Schulen und Kitas sowie die Unfallklinik. Es gibt etwa 3.000 Angler, die Fisch aus dem Kanal holen, und einige Ruderclubs am Kanal, deren Mitglieder auf dem Kanal trainieren. Schätzungsweise etwa 1.500 Kleingärtner im Umfeld sind in den Kleingärtenvereinen tätig. Hier hat die Landesumweltbehörde LANUV bis heute aus Vorsorgegründen eine negative Verzehrsempfehlung für Grünkohl ausgesprochen. Hinzu kommt der Fredenbaumpark, der direkt angrenzend an Hafen liegt und im dem tausende Menschen Erholung suchen, und der Kanal, der ebenfalls von Anwohnern, Ruderern, Anglern zur Naherholung genutzt wird. Insgesamt leben etwa 17.000 Menschen im Hafenquartier, in Hauptwindrichtung und unweit der Envio-Brache.

Die BI-Mitglieder berichteten über den Stand des Strafprozesses: Ein Strafprozess gegen die Envio-Verantwortlichen dümpelt seit 2012 vor sich hin, mit sehr ungewissem Ausgang, ob es zu einer Verurteilung der vier angeklagten Envio-Verantwortlichen kommen wird. Im Film wird auch die Situation der PCB-belasteten Arbeiter gezeigt. Sie müssen mit der Bürde der Giftlast, die sich in ihrem Fettgewebe anlagert und welche nur schwer ausgeleitet werden kann und vielfältige Krankheitsrisiken nach sich zieht, weiter leben. Ihr Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitsrente ist ungewiss, noch ungewisser eine Schadenersatzzahlung im Strafprozess. Mit den Gesundheitsfolgen haben sie und ihre Familienangehörigen, Ehefrauen und Kinder, weiter zu leben.

In der Diskussion wurde auch der Stand des Sanierungsverfahrens erörtert. Nachdem die Verwertung der werthaltigen Materialien durch die Insolvenzverwaltung in 2014 beendet wurde, versucht die Bezirksregierung Arnsberg derzeit die Stadt Dortmund als Grundstückeigentümer in Regress zu nehmen. Dadurch ist ein Streit entbrannt, wer denn jetzt für die Sanierung zu zahlen habe. Wann und ob das Sanierungsverfahren beginnt, rückt damit mal wieder in die Ferne. Darüber hinaus gelten die Envio Recycling GmbH als Verursacher, die Envio Grundstücks GmbH als Pächter und die Stadt Dortmund als Grundstückseigentümer als „Zustandsstörer“ mit der Folge einer Zerstückelung von Verantwortlichkeiten und der Reduzierung von Schutzstandards (und Kosten), die an das Sanierungsverfahrens angelegt werden müssen.

Dieser Hickhack führt dazu, dass ein Beginn der ausstehenden Sanierung der PCB-verseuchten Anlagen und Flächen sich auch 5 Jahren nach Öffentlichwerden des Umweltskandals erneut hinzieht und das Ende juristisch und zeitlich unabsehbar ist. Bis zum heutigen Tag ist außer etlichen Abstimmungsrunden zwischen Verwaltungseinheiten, Moderationsrunden zur Öffentlichkeitsberuhigung , Einzelfallhilfen für betroffene Arbeiter durch den PCB-Ombudsmann und einen schleppenden Strafprozess, der auf eine Abwehr der strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen hinzielt, nichts Essentielles passiert, um dieses Giftmüllgrab zu beseitigen. Die Situation in 2015 stellt sich 5 Jahre nach dem Beginn des Envio-Skandals in 2010 unverändert dar: Direkt neben einem dicht besiedelten Wohnbereich in der Nordstadt liegt immer noch über 2.000 t hochtoxischer PCB-verseuchter Giftmüll - unter dem zudem ein Blindgänger vermutet wird. Der weiter Skandal: dass das kaum jemanden in dieser Stadt scheint das ernsthaft zu beunruhigen scheint.

An Schluss wurden gesammelt, was denn die Menschen, die den Zustand nicht klaglos hinnehmen möchten, unternehmen können. Es braucht weiterhin den Druck von kritischen und engagierten Betroffenen, Anwohnern, Bürgern, Politikern, um auf eine Sanierung der PCB-verseuchten Anlagen und Flächen mit einem hohen Schutzstandard hinzuwirken. Das können Nachfragen in der Bürgersprechstunde, in der Bezirksvertretung Nord, im Rat der Stadt Dortmund, beim PCB-Ombudsmann oder bei politischen Mandatsträgern sein. Die Formulierung von Leserbriefen ist ein weiterer Weg. Oder kommen Sie zu den Treffen der „Bürgerinitiative zur Aufklärung des PCB-Skandals in Dortmund“, die sich jeden dritten Mittwoch im Monat ab 18.00 Uhr im Dietrich-Keuning-Haus trifft und auf dieser Website Informationen bereit hält.